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Monstertunnel

Hamburg braucht dringend neue Schieneninfrastruktur, denn der Norden Deutschlands hängt komplett an wenigen Fäden. Es gibt viele Nadelöhre in und rund um Hamburg. Viele Punkte, die im Falle von Störungen auch den kompletten Norden zum Erliegen bringen können. Und es gibt ebenso viele Hinderungsgründe, damit der Deutschlandtakt im Norden errichtet werden kann.

Das merkt auch der Bund – und treibt gerade vor allem ein einzelnes Schienenprojekt voran: die S-Bahn zwischen Hauptbahnhof und Altona bzw. Diebsteich soll in einen Tunnel verlegt werden, damit auf der sogenannten Verbindungsbahn (das ist die Hauptstrecke zwischen Hauptbahnhof und Altona) künftig vier Gleise für Regional- und Fernverkehr verlaufen. Der derzeitige Projektname des Tunnelprojektes ist der Verbindungsbahn-Entlastungstunnel (kurz VET).

Ich selbst habe noch keine abschließende Meinung, bin dem Vorhaben allgemein offen eingestellt. Ich sehe es als ein Puzzlestein von vielen, damit die Defizite des Nordens gelöst werden. Nun gab es dieser Tage eine Pressemeldung seitens der Initiative Prellbock Altona. In der Taz ist dann folgende Schlagzeile geworden:

„Monster-Tunnel“ ohne Nutzen

Man hätte der Verkehrswende keinen größeren Bärendienst erweisen können. Zerlegen wir aber zunächst diese Headline in ihre beiden Kernaussagen: “Monster-Tunnel” und “ohne Nutzen”.

Monster-Tunnel

Was ist dem Schöpfer dieser Metapher hier in den Sinn gekommen? Wenn man von den Arbeiterpalästen der Moskauer U-Bahn und der einen oder anderen Berliner und Wiener U-Bahn-Station absieht: die meisten Tunnelstationen werden keinen Wettbewerb in Schönheit gewinnen. Aber wir sind froh, dass wir U-Bahnen haben. Nicht weil da immer erst Leute in den Untergrund müssen oder Mobilitätsbeeinträchtigte auf einen Fahrstuhl angewiesen sind: wir haben im Untergrund andere Flexibilitäten gerade im urbanen, dichten Bereich. Wenn etwas im Untergrund im Weg ist, dann wird es über- oder unterbaut. Der Schall ist besser als auf aufgeständerten Trassen. Vor allem haben wir da Platz, den wir oberirdisch nicht haben. Richtig ist aber auch: es ist aufwändiger und ressourcenintensiver.

Warum nun genau diese Trasse ein “Monster-Tunnel” sein soll, und nicht etwa der schon bestehende S-Bahn-Tunnel, der Harburger S-Bahn-Tunnel oder die auch von Prellbock gewünschte zweite Elbquerung in unterirdischer Ausführung? Es erschließt sich mir nicht. Allenfalls die räumliche Nähe zum geplanten Ersatzneubau der Sternbrücke, die einige zur “Monster-Brücke” erklärt haben.

Im Artikel kommt dann ein wirklich bahnbrechendes Argument:

Der neue Tunnel ist für Hamburg-Fans schon ästhetisch ein Problem. Soll doch mit ihm die schönste S-Bahn-Strecke, die aus Altona über Dammtor direkt über die Alster führt, 30 Meter tief unter die Erde gelegt werden.

Aua! Was haben diese Hamburg-Fans in den 70er Jahre bluten müssen, als einige S-Bahnen plötzlich im Tunnel verschwanden und ganz andere Stationen anbanden? Und ehrlich: wer fährt für diese Stationen extra nach Hamburg? Da macht zum einen die Berliner Stadtbahn mehr her, und auch in Hamburg werden wohl wesentlich mehr Fans die U3 nutzen. Und zum anderen können diese Hamburg-Fans dann die Regionalbahn doch nutzen.

Ohne Nutzen

Aber jenseits der Ästhetik von Tunnelbauwerken, wird der Nutzen in Gänze in Frage gestellt. Also nicht die Frage, ob der Aufwand den Nutzen rechtfertigt oder ob die Prioritäten stimmen, sondern der Nutzen als solches. Dies wird auch im Text noch einmal unterstrichen:

“Wir halten das Gesamtprojekt für schädlich.”

Für diese scharfe Formulierung halte ich die Argumente zu schwach. Viele Argumente betrachte ich auch nicht wirklich als Argumente:

An der Überfüllung der beiden S-Bahn-Bahnsteige am Hauptbahnhof mit ihren vier Gleisen zum Beispiel wird sich gar nichts ändern, da die heutigen Gleise 3 und 4 lediglich verlagert würden.

Das ist auf jeden Fall zutreffend. Aber es ist ja auch gar nicht das Ziel der Maßnahme. Für den Regional- und Fernverkehr sollen zusätzliche Kapazitäten geschaffen werden.

Gegenvorschläge: Zweite Elbquerung und Ring

Im Teaser werden zwei Gegenvorschläge gemacht:

Besser wäre eine zweite Elbquerung und eine Ring-Bahn, die den Hauptbahnhof entlastet.

Unbestritten brauchen wir auch die beiden Gegenvorschläge – es sind auch piratige Forderungen. Aber doch nicht als Entweder-Oder, sondern zusätzlich. Auch mit den zusätzlichen Gleisen zwischen Altona und Hauptbahnhof besteht immer noch das Risiko des Single-Point-of-Failures. Auch wenn ich vier Regionalbahngleise dann habe, reicht ein schräger Typ aus, der sich auf die Gleise legt.

So könnte die zweigleisige Strecke auf der Verbindungsbahn mit moderner Signaltechnik so aufgerüstet werden, dass dort problemlos die Fern- und Regionalbahn im engeren Deutschlandtakt fahren. Auch wäre der Ausbau des Dammtorbahnhofs von vier auf sechs Gleisen sinnvoll, damit die dort haltenden Regionalzüge die Strecken nicht verstopfen.

Es sind und bleiben zwei Gleise. Unbestritten ist wohl, dass man mit einigen Maßnahmen wie ETCS noch etwas mehr herausholen kann.

Klimabilanz

Auch fürs Klima sei der Bau schädlich. So werden nach Schätzung der Initiative für die insgesamt 16 Kilometer Tunnelröhre und die Bahnhöfe weit über eine Million Kubikmeter Stahlbeton verbaut und etwa 1,35 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt, was vom Klimaeffekt her erst nach 250 bis 300 Jahren Bahnverkehr ausgeglichen wäre.

Ich kenne diese konkrete Prognosen nicht. Ich kenne sie für die U5. Wenn diese genauso sind, dann sind sie für die Tonne. Vor allem darf ich dann auch nicht mehr über die zweite Elbquerung reden, wenn ich dieses Argument ernst nehme. Zugegeben: eine seriöse Rechnung wird in so einem komplexen Geflecht nur schwer möglich sein, da sich viele Effekte dann auch auf anderen Strecken wiederfinden. Andererseits muss man sich auch nichts vormachen: es braucht ohne Zweifel jede Menge Beton, allein schon für die Tübbinge.

Kosten

Eine Vorgänger-Studie schätzte 2020 die Kosten auf drei Milliarden Euro. Jung prognostiziert eine ähnliche Steigerung wie in München.

Ja, klar: das wird Milliarden kosten. Aber es sollte uns das wert sein. Jedes Bauprojekt wird erst sehr optimistisch gerechnet, dann wird es teurer. Etwas mehr Ehrlichkeit im Vorfeld wäre immer von Vorteil. Aber wenn es hilft, dann sagen wir eben 20 Mrd.? Dann lasst es uns tun. Die Frage ist immer, was das nichts tun uns kostet. Die Defizite des Nordens lösen sich ja nicht mit Fingerschnipsen.

Profitieren würden vor allem Tunnelbauunternehmen.

Es mag einige überraschen, aber bei jedem Bauvorhaben gibt es Branchen, die davon profitieren. Was sind das für Argumente?

Bauphase

Die ganze östliche Seite des Hauptbahnhofs werde vom Stadtteil St. Georg aus gar nicht mehr zugänglich sein, prophezeit Jung. „Der Hachmannplatz ist zehn Jahre dicht“.

Ein weiteres Argument, was bei mir gar nicht zieht: jede Baumaßnahme hat eben Beeinträchtigungen zu Folge. Es ist eine Frage des Geldes, wieviel man kaschieren möchte und wie die Logistik beim Bau gestaltet wird.

Fazit

Die Debatte, ob wir dieses Verkehrsprojekt brauchen oder nicht, sollten wir führen. Die Argumente, die Prellbock hier ausführen, überzeugen mich leider nicht – vor allem weil sie überspitzt und überzogen sind.

Ich erkenne zweifelsfrei einen Nutzen dieser Maßnahme, bin aber noch nicht überzeugt, ob hier Aufwand und Nutzen im Verhältnis stehen, oder ob andere Lösungen zielführender sind. Teilweise fehlt mir dazu aber auch das Wissen, was exakt hier nötig ist, damit wir ein bestimmtes Niveau dann haben, was für die nächsten Jahrzehnte ausreicht. Das macht es beispielsweise auch schwierig für Bürgerbeteiligung: du kannst eine Umfrage machen, ob mehr Züge von Hamburg in den Norden fahren sollen – oder ob eben diese durch den sogenannten Monster-Tunnel fahren sollen. Die Ergebnisse werden konträr ausfallen.

Neben der Verlegung der S-Bahn könnten aber auch zwei Regionalbahngleise in den Untergrund gelegt werden – vielleicht ist das eine günstigere Maßnahme (da dann bspw. keine Bahnhöfe festgelegt werden müssen).

Allgemein bin ich Freund von konstruktiven Vorschlägen. Also lehne das Vorhaben nicht ab, sondern stelle Anforderungen so, dass du mit dem Ergebnis besser leben kannst oder manchen Kritikpunkt zum Pluspunkt umwandeln kannst. Und Vorschläge zur Stationsgestaltung sind Willkommen, aber beispielsweise auch, wie am Dammtor die künftigen Umstiege verbessert werden können.