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Glaubwürdigkeit von Verkehrsgutachten

Heute wurde im Stadtentwicklungsausschuss das Verkehrsgutachten zum Bebauungsplan 9-50 (Funkwerk Köpenick) vorgestellt. Auf einem 8ha großem Areal südlich der Altstadt (in der Nähe des Straßenbahndepots) sollen ca. 680 Wohnungen errichtet werden. Durch dieses Vorhaben, dem Vorhaben Marienhain sowie die Bebauung weiterer Baulücken können bald mehrere Tausend Menschen zusätzlich in dem Areal wohnen. Und wo Menschen wohnen, entsteht Verkehr. Die Anschlüsse an das restliche Straßennetz sind begrenzt.

Also ist ein Verkehrsgutachten notwendig. Das soll belegen, dass mit der Zunahme des Verkehrs durch den Wohnungsbau kein Kollaps eintritt.

Im Ausschuss ging es teilweise sehr emotional zu. Ein Anwohner des Gebietes brachte mehrfach zum Ausdruck, dass dieser Kollaps schon heute besteht.

Was ich nun in den letzten vier Jahren in der Lokalpolitik gelernt habe: diese Gutachten sind immer Gefälligkeitsgutachten. Sie führen irgendwie immer zum gewünschten Ergebnis. Und dieses Beispiel bringt es sehr gut auf den Punkt.

Vor ca. drei Jahren gab es schon einmal ein solches Verkehrsgutachen, damals zum Vorhaben Marienhain – ebenso von LK Argus. Zu diesem Zeitpunkt waren verschiedene Vorhaben noch nicht bekannt, konnten also noch keine Berücksichtigung finden. Bei weniger Einwohnern und ansonsten nahezu identischer Rahmenbedingungen (es wurden keine neuen Straßen gebaut, es fand kein signifikanter Verkehrsrückgang statt, die zwischenzeitlich optimierten Ampeln wurden damals bereits analysiert) fließt der Verkehr in der Simulation besser als beim alten Gutachten. Zauberei?

Im konkreten Fall kommt noch hinzu, dass dieser Teil von Köpenick wie eine Insel gesehen werden kann: es gibt (von der verkehrsberuhigten Durchwegung durch die Köpenicker Altstadt abgesehen) nur zwei Brücken zum restlichen Berlin. Das sind Nadelöhre. Es hilft also nichts, wenn eine Simulation den reibungsfreien Ablauf eines Areals zeigt, während sich von der Brücke Rückstau bis ins untersuchte Areal hinein bilden kann.

Besonders skurril fand ich in diesem Gutachten noch einen internen Logikfehler: die Simulation attestiert einen reibungsfreien Ablauf (d.h. alle wartenden Verkehrsteilnehmer können innerhalb einer Phase die Kreuzung passieren) – und dafür nehmen schon Verkehrsteilnehmer unnötige Umwege in Kauf. Als ich das sah, erweckte auch mein Faible für Entscheidungs- und Spieltheorie zum Einsatz: wann nehme ich einen Umweg in Kauf? Nur wenn ich durch den Umweg schneller bin. Also muss es sich mindestens um den Zeitaufwand des Umwegs stauen. Meine These: Ohne Stau, kein Umweg!

Das grundsätzliche Problem dieser Studien ist in meinen Augen aber auch der Ansatz: auf die Einwohner wird ein sogenannter Modal Split angewandt, also eine Aufteilung der Wege auf Verkehrsmittel (siehe auch mein Artikel zum Berliner Verkehrsmittelmix). Dann sitzen eine bestimmte Anzahl Personen durchschnittlich in einem Wagen. Und dann wird geschaut, ob die dabei ermittelten Autofahrten (die dann noch statistisch über den Tag verteilt werden) durch die theoretischen Grünphasen der Ampeln bewältigt werden können.

Doch es gibt viele Mittel, auf die Wahl der Verkehrsmittel Einfluss zu nehmen. Gute Radwege, bessere Erschließung mit öffentlichen Nahverkehr, auch die Fahrpreise (im besten Falle auch ein fahrscheinloser Nahverkehr). Und noch wichtiger: die Stadt der kurzen Wege. Wer ernsthaft noch Schneisen wie die A100 durch die Innenstadt schlagen möchte, muss sich auch nicht wundern, wenn der Verkehr in den Außenbereichen zunimmt!

Berlin ist derzeit unangefochtener Spitzenreiter Deutschlands, was den Anteil von Nicht-PKW-Fahrten angeht. Kaum eine Konkurrenz in Sichtweite, am Ehesten noch München. Und dennoch, da nörgle ich gerne: es kann noch mehr passieren! Es ist noch genügend Luft nach oben zu einer lebenswerten Stadt da. Wien ist für Berlin ein gutes Vorbild. Oder Kopenhagen.

Und in diesen Momenten frage ich mich, warum Investoren gequält werden, Gutachten anfertigen zu lassen, deren Ergebnisse Zweifel aufkommen lassen, für Dinge, die nicht vordergründig durch sie zu verantworten sind. Lieber würde ich die Investoren in der Verpflichtung nehmen, um dauerhaft einen Anteil sozialverträglicher Wohnungen bereit zu stellen!

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