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Das Ausspielen von U-Bahn und Straßenbahn

Derzeit schwappt eine Welle aus Berlin nach Hamburg, die den Bau neuer U-Bahn-Linien als Klimakiller einstufen möchte, weil deren Amortisationszeit für CO₂ weit über 100 Jahre bis hin zu 1946 (!) Jahren liegen soll.

Diese Studien machen mir Angst:

Im Kontext der neuen Hamburger U5 ist es nun auch Bestandteil von Klagen.

Vorbemerkung

Richtig ist zunächst, dass beim Bau von Tunneln einer Menge Energie, Beton und Stahl verwendet wird. Das sollte man sich bewusst machen. Greifen kann ich diese Zahlen nicht, aber nicht ohne Grund sind U-Bahn-Bauten auch teuer. Deshalb rechnen sich unterirdisch verlaufende Bahnen auch nur in dicht besiedelten Gebieten und ergeben dort Sinn.

Berlin hat bekanntlich ein gut ausgebautes U- und S-Bahn-Netz. Punktuell gibt es noch Verlängerungsbedarf (z.B. U7 zum BER). Dieses Netz wird im Ostteil der Stadt fast flächendeckend durch Straßenbahnen ergänzt. In Hamburg gibt es keine Straßenbahn und das U- und S-Bahn-Netz weist leider noch viele weißen Flecken. Der Hamburger Senat will die größeren Gebiete in Bramfeld/Steilshoop sowie Lurup nun anbinden. Teilweise basiert dies noch auf Versprechungen längst vergangener Legislaturperioden.

An sich ist es nun eine gute Nachricht, dass Hamburg Ende 2021 tatsächlich mit dem Bau der U5 angefangen hat. Doch es regte sich Widerstand – mit Verweis auf die CO2-Bilanz. Gegner der U-Bahn sind bspw. der BUND Hamburg sowie die neue Initiative Elbtram.

Letztere führen auf ihrer Seite einseitig nur die Vorteile der Straßenbahn auf – und vieles, was sie schreiben, ist ja auch richtig: die Straßenbahn ist günstiger zu bauen, sie ist (in der Regel) ebenerdig zu erreichen und kann ein engmaschigeres Haltestellennetz haben. Und genau deshalb sollte Hamburg auch als Ergänzung zur U-Bahn in ein Straßenbahnnetz investieren.

Doch beim Haltestellenabstand wird eines der wichtigsten Vorteile einer U-Bahn außer Acht gelassen: die Geschwindigkeit. Der Abstand wird ja nicht wegen den Kosten oder der CO2-Bilanz soweit auseinander gelegt, sondern damit die Bahn vor allem auch größere Distanzen in kürzerer Zeit schafft. Am Ende des Tages spielt für die Wahl des Verkehrsmittels die Gesamtreisezeit eine wichtige Rolle.

Hier ein paar Zahlen aus Berlin

Die Straßenbahn schafft eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 19,3 km/h, die U-Bahn 30,9 km/h.

Die Hamburger U-Bahn schafft sogar 34,7 Stundenkilometer, eben durch die großen Abstände insbesondere im Abschnitt der Walddörfer Bahn. Die Durchschnittsgeschwindigkeit der Tram ist stark davon abhängig, wie häufig die Bahn separate Gleise bekommt und an welchen Knotenpunkten sie Vorrang erhält. Wenn Hamburg die Straßenbahn also ebenso ungünstig wie die Busse priorisiert, dürfte der Wert auch mit einer modernen, neuen Stadtbahn darunter liegen.

Und diese Durchschnittsgeschwindigkeiten spielen vor allem für die Menschen eine Rolle, die quer durch die Stadt müssen – und dabei auch gut und gerne 20 Kilometer je Richtung zurücklegen. Und für solche Entfernungen gehen auch Straßenbahnen, klar, aber es dauert dann eben länger – mit der Folge, dass für solche Leute eine Straßenbahn weniger attraktiv erscheint wie eine U-Bahn. Und nein, das ist kein Plädoyer gegen die Straßenbahn: wenn ich nicht im Einzugsgebiet der U-Bahn wohne, ist als Zubringer eine Straßenbahn dennoch attraktiver als ein Bus. Ferner nimmt eine U-Bahn auch mal locker das doppelte bis dreifache an Leute mit wie eine Straßenbahn. Und im Zweifel kann sie dichter getaktet werden.

Und eine U-Bahn hat weniger Ausfälle, es kann auch kein Kind mal vor die Bahn rennen – und wenn die Forderung nach T30 innerorts konsequent durchgesetzt wird, kann die U-Bahn im Tunnel trotzdem 60 km/h oder 80 km/h fahren. Und deren Schallemission bleibt halt in der Regel im Untergrund.

Aber diese Abwägungen spielen keine Rolle, wenn die CO₂-Karte gezogen wird: Das CO₂ der Bauphase hat sich gefälligst zu amortisieren.

Berliner Studie

Die Berliner Studie hat diesen Return-of-Investment für fünf in der Debatte stehenden Erweiterungsplanungen ermittelt – und kommt im günstigsten Falle auf 109 Jahre (U9 Nord), im ungünstigen Falle auf 230 Jahre (Tegel). Dazu wird zunächst das typische Baumaterial ermittelt und dann der CO₂-Anteil bei Herstellung und Transport von Beton, Stahl und weiterer Technik ermittelt. Ich bin nicht in der Lage, diese Werte zu verifizieren. Aber ich betrachte diese mal als realistisch (Wer dazu mehr sagen kann: Gerne in die Kommentare)

Spannender ist die Gegenseite der Rechnung, was zur Kompensation herangezogen wird:

  • 20% der Fahrgäste im neuen Abschnitt, die vom PKW umsteigen
  • das 2,5facher der Streckenlänge im Busverkehr

Bei ersteren wird angenommen, dass im durchschnittlichen Auto 1,25 Personen sitzen, diese durchschnittlich 8 Kilometer pro Tag fahren und aus dem Fahrzeug 157g CO₂ pro Kilometer herauspurzelt, an allen Tagen. Samstags zu 90%, Sonntags und im Jahresurlaub zu 70%. Erster Rechenfehler der Autoren: wenn die durchschnittliche Fahrstrecke 8 Kilometer beträgt, so werden diese acht Kilometer auch am selben Tag zurückgefahren.

(Anmerkung 1: dieser Wert ist ein Laborbereich, der vor allem auch Beschleunigungsvorgänge bis zu Geschwindigkeiten von 130 Stundenkilometern berücksichtigt. Im Stadtbereich dürfte der Wert deutlich geringer ausfallen)

(Anmerkung 2: Gemäß der SrV-2018-Studie für Berlin legen die Menschen in Berlin durchschnittlich 3,5 Wege am Werktag zurück (Tabelle 6.1), unter den Autofahrenden liegt die durchschnittliche Strecke pro Weg bei 9,4km (Tabelle 7.4.2). Demnach würden 32,9km eingespart werden. Tendentiell eher mehr: die zu ersetzenden PKW-Fahrten sind ja in der Regle länger, wo die U-Bahn ihr Plus ausfährt)

Nun gibt es noch Einsparungen beim Bus. Es ist klar, dass manche Linien in ihrer heutigen Form nicht mehr gebraucht werden. Man kann verkehrspolitisch argumentieren, ob eine Verlagerung der Busse in andere Gebiete den Nutzen der U-Bahn sogar steigern könnte. Daher wird das 2,5fache an Streckenlänge beim Bus “eingespart”.

Bei einer Straßenbahnstrecke fällt dieser Effekt aber geringer aus: wenn ich eine Bahn mit 250 Nasen fahren lasse, dafür 2,5 Busse zu je 100 Nase einstelle, dann frage ich mich, wer dann zusätzlich in das Verkehrsmittel einsteigen soll. Es wäre dann ein Modell um Nachfrage auf nicht ausgelasteten Abschnitten zu generieren. Hier steckt ein weiterer Denkfehler in der Berliner Studie, die damit eine verhältnismäßig kurze Amortisationszeit bei Straßenbahnen ermittelt.

(Anmerkung: Ich habe die Ersteller der Studie angeschrieben. Es folgte keine Antwort)

Hamburger Studie

Ähnlich wie in Berlin wird der CO₂-Bedarf ermittelt. Ich konzentriere mich auf die Kompensation: Entscheidender Faktor in der Berechnung ist eine Erklärung zum Hamburger Haushalt, nach der der erste Abschnitt 2.790.000 Kfz-Kilometer im Jahr einspart (was heruntergerechnet knapp 7500 Leute pro Tag wären – unter den Annahmen 2*8km-Fahrten, 1,5 Personen pro Fahrzeug, Alle Tage):

Wenn mit Inbetriebnahme der U5-Ost 20.000 Fahrgäste täglich prognostiziert werden, davon aber nur 717 Pkw-Insassen oder, da diese abends wieder zurückfahren, 1.434 FG = 7,2% gemäß Prognose bereit sind, ihren Pkw stehen zu lassen und auf die U5-Ost umzusteigen und der Senat dies offenbar als erwähnenswerte Transportleistung ansieht, dann zeigt dies überdeutlich, dass es ihm mit dem Bau der U5-Ost tatsächlich nur um die Einlösung eines lange gemachten Versprechens, weitere Stadtteile an das Schnellbahnnetz anzuschließen ging und nicht im Geringsten um die Reduzierung des Straßenverkehrs und die Verbesserung des Klimaschutzes in Hamburg.

Genau deshalb macht dieses isolierte Stück auch keinen Sinn. Nun nehmen die Autoren der Studie an, dass diese Kfz-Umsteigequote auch auf die gesamte Linie übertragen werden kann. Dem wird nicht so sein. Der Vergleich mit der Straßenbahn wird nur anhand der Berliner Rechnung verglichen und adaptiert.

Fazit

In beiden Rechnungen bleiben viele Punkte komplett außen vor:

  • Bei den Kfz werden nur die Schadstoffe während der Fahrt berücksichtigt. Die Fahrzeuge müssen hergestellt und gewartet werden. Bei einem Zeitraum von 109 Jahren kann man locker noch 6 komplette Neuwagen in die Kalkulation mit aufnehmen (wobei auch eine U-Bahn nicht ewig fährt, aber schon deutlich länger)
  • Diese Kfz benötigen auch Platz im öffentlichen Raum. Wird weniger Parkfläche oder Fahrstreifen benötigt, könnte die Fläche auch anders genutzt werden, bspw. durch Bäume. Bekanntermaßen ein sehr natürlicher Kompensator für CO₂
  • Diese Kfz nutzen auch die Fahrbahn ab, die dann häufiger saniert werden muss. Wenngleich das auch für Gleisanlagen und Tunneldecken gilt.

Und dann gibt es Punkte, die sich nicht in CO₂-Bilanzen widerspiegeln, wohl aber im Komfort der Menschen. Sei es in gesundheitlicher Sicht (durch weniger Schadstoffe bzw. Lärm, Feinstaub/Reifenabrieb), durch die soziale und gesellschaftliche Teilhabe (weil eben auch Personen in Verkehrsmittel einsteigen, die das vorher möglicherweise nicht getan haben) und auch die Lebensqualität steigt, wenn die Ziele mit öffentlichen Verkehrsmitteln schneller erreichbar sind.

Zugegeben: das lässt sich auch mit so einer simplen Rechnung auch gar nicht abbilden. Und deshalb finde ich diese Studien auch nur bedingt geeignet, Stimmung gegen den Bau von U-Bahnen voranzutreiben.

Wir sollten viel mehr verstehen, dass in Städten über 1 Mio Einwohner und einer gewissen Ausdehnung U-Bahnen die übergeordneten Verbindungen herstellen und Straßenbahnen diese nur ergänzen können. Es gibt viele europäische Städte (mit ähnlichen Einwohnerzahlen wie Hamburg), die das schaffen: Wien, Prag, Oslo, Budapest, Sofia, Warschau, München, …

Und so würde ich mir das für Hamburg auch wünschen. Also dass die SPD und die Grünen ihren Widerstand gegen die Straßenbahn aufgeben und endlich anerkennen, dass Olaf Scholz 2011 auf dem Holzweg war, als er die Farce namens Busbeschleunigung in die Stadt brachte. Und Initiativen für die Straßenbahn anerkennen, dass es kein Entweder-Oder sein muss. Unbenommen davon darf die Streckenführung der U5 auch kritisiert werden: hier soll eine weitere Linie hin zum chronisch überlasteten Hauptbahnhof geführt werden – anstelle mittels einer Tangente diesen abgekürzt und umfahren werden. Ich bin beispielsweise daher auch Freund des sogenannten Alsterhalbringes, eine U-Bahn-Idee aus den 20ern.

Unbenommen davon sollten wir durchaus dieser Debatte einen Gewinn erzielen: wir sollten prüfen, ob wir Verkehrsinfrastruktur auch CO₂-günstiger hinbekommen, allein durch Einbeziehung örtlicher Unternehmen. Es wäre ein schönes Zeichen in künftigen Ausschreibungen.

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