In der letzten Woche ist erneut Arnsdorf bei Dresden zu unredlicher Berühmtheit dank des Braunen Mobs geworden. Und zwar nicht, weil es das braune Gesindel noch gibt, sondern dass auch die rechtsstaatlichen Prozesse offensichtlich nicht mehr funktionieren. Und die sächsische SPD kommunikativ völlig versagte.
Was war passiert? Vor reichlich drei Jahren stürmten vier Irre in Arnsdorf eine Kaufhalle, in der es eine Meinungsverschiedenheit mit Sprachbarriere zu Mobilfunkguthaben gab und fingen eine Schlägerei an. Als die Polizei eintraf, fand sie einen Menschen, der gerade in der Nervenklinik in Behandlung war, vor, der mit Kabelbindern an einem Baum befestigt wurde. Der Polizeipräsident griff danach noch mächtig in die Scheiße, der dieses Vorhaben als sinnvoll bzw. notwendig abhandelte, obwohl Freiheitsberaubung ganz klar eine strafbare Handlung darstellt.
Der Fall kochte 2017 erneut auf, als das Strafverfahren eingestellt worden war, bei der es unter anderem Drohungen gegen den Staatsanwalt gegeben haben soll (siehe Straffreie Fesselspiele).
Danach wurde es wieder ruhig um Arnsdorf, zumindest bekam ich davon wenig mit. Das meist stand nur hinter einer Bezahlschranke der Sächsischen Zeitung.
Die Bürgermeisterin positionierte sich zu den unredlichen Vorfällen, wurde bedroht und nahezu allein zurückgelassen. Der braune Mob tobt und bedroht. In dessen Folge gab eine politische Fraktion („Buntes Arnsdorf”) schon auf. Und die Bürgermeisterin bekam einen Burn-Out.
Der sächsische Innenminister fordert Kommunalpolitiker auf, Anzeigen zu stellen. Die folgten. Doch es gab kaum Unterstützung oder Ermittlung durch die Polizei.
Noch viel erschreckender finde ich die SPD, die es in dieser Zeit nicht schaffte, sich klar hinter ihre Bürgermeisterin zu stellen. Das erinnert ein wenig an den Mordfall Walter Lübcke, wo die CDU nicht die Kurve bekommt, klar Haltung einzunehmen.
Als ich am 21.11. die Webseite der SPD im Landkreis Bautzen aufruf, stellte ich fest, dass ihr Name nicht mehr auftauchte. Wie ausradiert. Selbst im Vorstand, wo sie am 13.11. noch aufgeführt wurde, ist sie verschwunden. Erst durch Nachfrage, fühlte sie die SPD genötigt, überhaupt ein Statement abzugeben:
Martina Angermann hat als Bürgermeisterin in Arnsdorf einen großartigen Job gemacht. Ihre Position gegenüber den Angriffen auf die Demokratie ist untadelig und verdient unsere Solidarität. Martina Angermann bat aus persönlichen Gründen von der Aufgabe im SPD Kreisvorstand entbunden zu werden. Daher findet Ihr sie nicht mehr auf der Vorstandsseite.
Tolle Worte. Nur komplett zu spät. Und nicht nur der Kreisverband. Als das Kind in den Brunnen gefallen war, wachten einige in der SPD auf. Zu spät: Denn die Braunen hatten ihr erstes Etappenziel geschafft: Einen Abwahlantrag im Gemeinderat, dem die Bürgermeister durch einen Antrag auf vorzeitigen Ruhestand zuvorkam.
Als gebürtiger Sachse gibt es so manche Momente, wo ich mich für Sachsen schämen muss. Und das wurde in den letzten Wochen sehr stark auf die Probe gestellt.
Es ging los mit dem sogenannten Hutbürger, der sich heftig artikulierend vor eine Kamera stellte und betonte, nicht gefilmt werden zu wollen – und genau damit zum Politikum wurde. Vermutlich gewollt. Sonst hätte man solche Wünsche nicht vor, sondern hinter der Kamera geäußert. Nun könnte man meinen: Gut, ein Troll, der seine 15 Minuten Ruhm suchte. Aber er ist auch Mitarbeiter des sächsischen Landeskriminalamtes. Solche Personen sollten eigentlich wissen, wie sie sich zu verhalten haben, vor allem sollten sie auch mit der Rechtsmaterie besser vertraut sein. In der Aufzeichnung erklärte er, den Kameramann verhaften zu wollen. Diese sogenannte “Jedermanns-Haft” (§127 StGB) gibt es, sie setzt aber Fluchtgefahr oder Mangel an Identitätsfeststellung voraus – beides hier nicht gegeben.
Die Polizei schritt ein, stellte aber nicht sicher, dass der Journalist weiter arbeiten konnte, sondern analysierte gründlich den Presseausweis. Nicht nur einmal, mehrfach. Gesamtdauer: eine dreiviertel Stunde. (Siehe ZDF). Unmittelbar nachdem der Vorwurf bekannt wurde, nahm der sächsische Ministerpräsident schon klare Stellung zur Streitfrage:
Die einzigen Personen, die in diesem Video seriös auftreten, sind Polizisten. […]
Da fragt man sich schon, welchen Stellenwert so eine Aussage zu diesem Zeitpunkt überhaupt haben kann.
Das Chemnitzer Stadtfest wurde durch einen Mord überschattet. Zwei Tatverdächtige wurden verhaftet. Das Verfahren läuft.
Obwohl der Mordfall noch nicht abschließend aufgeklärt ist (also ob der Tatverdächtige auch der Täter war), werden sofort Fragen nach seinem Aufenthaltsrecht sowie dessen Vorstrafen laut. Das sind ja für den Einzelfall auch berechtigte Fragen. Aber sie passieren nicht mit der Zielstellung, dass bei bestimmten Vorstrafen künftig generell ein stärkeres Auge auf die Personen geworfen wird, sondern um bestimmte Leute des Landes zu verweisen. Welchen Unterschied macht es am Ende, ob er hier diese Tat begangen hat – oder im EU-Mitgliedsstaat Bulgarien (nur weil zuständigkeitshalber da das Asylverfahren läuft)? Überschattet wird das Ganze dann noch von jeder Menge Falschmeldungen (mehrere Tode, Sexualstraftaten, …).
Es ist völlig legitim, zu trauern und auch öffentlich Mitgefühl kund zu tun. Aber das passierte nur am Rande: Der Mord wurde instrumentalisiert. Und zwar so, dass ich den Eindruck bekommen habe, dass hier endlich ein Vorwand gefunden wurde, um mal richtig schön Hass und Dampf abzulassen. Das Satiremagazin extra3 hat, so bitter es auch klingt, die Situation zu den Hitler-Grußzeichen, Hitler-Sprechchören und das Zeigen nackter Hinterteile auf den Punkt gebracht
Eine in unserem Kulturkreis eher ungewöhnliche Art der Trauerbewältigung.
Dem stand eine Polizei gegenüber, die hoffnungslos unterbesetzt war – und das obwohl diese Szenarien vorhersehbar waren. Und wieder ist es Ministerpräsident Kretzschmer, der nicht in der Lage ist, klare Statements zu unserer Demokratie abzugeben, wo sie nötig sind. Und genau das färbt dann auf Chemnitz und Sachsen ab.
Dafür war er um so schneller, als die Wortverschmelzung “Pegizei” (für Pegida und Polizei) die Runde machte:
Meine Meinung habe ich deutlich gesagt. Sie hat sich nicht geändert. Aufarbeitung der Polizei zeigt Ordnungsmäßigkeit des Einsatzes. Ich bin ein überzeugter Verteidiger der Pressefreiheit und eines sachlichen Meinungsstreits. Den hashtag “Pegizei” halte ich für unverantwortlich!
Unterstrichen wird das ganze noch von dem Ereignis, dass der Haftbefehl gegen den Tatverdächtigen von Chemnitz veröffentlicht wurde – und in vielen braunen Kreisen herumgereicht wird. Zum Vergleich: als ein Bremer Abgeordneter, beruflich Bundespolizist, ebenso diesen Haftbefehl weiter verteilte, gab es postwendend eine Hausdurchsuchung. Ob selbiges bei den Brandstiftern in Sachsen bis heute durchgeführt wurde, ist bislang nicht bekannt. Der Kreis des potentiellen Leakers verkleinerte sich, bis dieser gestand. Nach dessen Suspendierung gab es ein postwendend ein Jobangebot der AfD-Fraktion in Baden-Württemberg. Das spricht für sich schon Bände.
Nun gibt es sogenannte Bürgerdialoge. Doch mal ehrlich: Was bringen diese? Hier hat sich eine Journalistin des ZDFs mal reingehört:
So hörte sich Monologe an, denn die Moderatorin konnte kaum einen Satz ohne Zwischenrufe sagen.
Mir stellt sich dann schon die Frage, wie ich solche Menschen überhaupt ernst nehmen kann? Oder anders: In welcher Parallelwelt leben einige dieser Menschen? Und wie schafft man es, diese wieder an der Realität teilhaben zu lassen?
Sehr beliebt in diesen Diskussionen ist die Abwehrhaltung, nicht ‘rechts zu sein’ – um genau danach rassistische Argumentationen aufzutischen. Und mit rassistisch beziehe ich mich auf alle Fälle, wo von einem konkreten Fall einer Person auf alle Menschen geschlussfolgert wird, die die selbe Herkunft bzw. Religionszugehörigkeit haben.
Besonders bezeichnend ist in diesem Sprechchören auch immer wieder, dass Angela Merkel für die Flüchtlingsströme verantwortlich gemacht wird. Im Grunde hat dazu Kabarettist Georg Schramm alles gesagt, was es dazu zu sagen gibt:
Nicht Merkel hat die Flüchtlingsströme ausgelöst. Der Auslöser war, dass den Millionen von Flüchtlingen in der Türkei, Jordanien und dem Libanon von den reichen Industrienationen die Hilfsgelder für die Nahrungsversorgung aus purem Geiz halbiert, gegen alle Warnungen der Fachleute. Dann haben sich Hunderttausende in Bewegung gesetzt.
In einem anderen Video (was ich leider nicht mehr wiederfinde) erklärt eine Passantin, dass die Mitte nun nicht mehr CDU oder SPD wählen würde, sondern AfD. Nein, das ist nicht die Mitte, diese Maske ist schon lange gefallen. Das soll heißen: Man kann schon alle, die in Chemnitz in besagter Demo mitliefen in diesen braunen Topf werfen – ohne jemand falsches zutreffen. Denn auch wenn Menschen mit ganz anderen Absichten irrtümlich in diese Demo hineingeraten sind: spätestens mit Beginn dieser Sprechchöre war klar, welcher Geiste hier vorherrschte und dann muss man eben auch eine Demonstration verlassen. Mir ist nicht zu Ohren gekommen, dass dies eine signifikante Anzahl Menschen getan hätte. Verstärkt werden solche Verurteilungen auch durch die Ergebnisse der letzten Bundestagswahl. 28,1% der Sachsen gaben ihre Zweitstimme einer der beiden zur Wahl stehenden Nazi-Parteien. Das ist leider ebenso eine signifikante Größe. Und die haftet ohnehin schon an Chemnitz bzw. an ganz Sachsen.
Die wirklich Leidtragenden von Chemnitz (oder auch Sachsen allgemein) sind alle anderen, die nun zu Unrecht die Prügel für diesen braunen Mob abbekommen. Denn nur allzu häufig liest man in diversen (sozialen und Presse-)Medien eine Verurteilung von ganz Sachsen. Und die hilft am Ende auch nicht.
Über die Ereignisse rund um die Demos des 01.09. möchte ich jetzt nicht groß drauf eingehen – im Grunde wiederholten sich da nur Ereignisse. Neu war nur noch, dass die Nazis scheinbare Bilder ihrer übermäßig besuchten Demo verbreiteten – und das mit einem Bild der DDR-Revolution 1989 in Leipzig unterstrichen. Ein schönes Beispiel, das aufzeigt, wie blöd die Anhänger sind.
Am 02.09. fand eine weitere Kundgebung im Chemnitz statt, die von der Kirche organisiert wurde und bei der die sächsische Polit-Prominz sprach: Ministerpresident Kretzschmar, Innenminister Wöller, Wirtschaftsminister Dulig und Chemnitz Oberbürgermeisterin Ludwig. Doch ehrlich: Wer von der aktuellen Politik nicht mitgenommen wurde, wird sich bei so etwas erst recht nicht einfinden.
In gewisser Hinsicht wird auch das Gratis-Konzert am 03.09. durch ein Sehen-und-Gesehen-Werden der Parteiprominenz überschattet (hier beispielsweise die SPD). Es zwar zweifelsohne eine löbliche Geste, wenn einige Bands – ohne Gage – den Ruf einer Stadt retten wollen – und 65.000 Teilnehmer ist eine durchaus beeindruckende Zahl in einer 243.000-Einwohner-Stadt. Aber diese Zahl war nur möglich, weil eine immense Mobilisierung auch außerhalb von Chemnitz und Sachsen stattfand.
Nun mag man sich vielleicht fragen, welche Probleme die Menschen vor Ort wirklich haben. In den Kundgebungen werden die Probleme ja meist auf Zugezogene aus anderen Kulturkreisen projiziert, die weder direkt noch indirekt etwas dazu können – und die ja auch, Vorsicht Ironie, sehr zahlreich in Chemnitz bzw. in Sachsen vorkommen. Häufig verbunden mit einer Neiddebatte, wer nun wieviel bekommt. Und häufig mit irgendwelchen Halbwahrheiten und Zudichtungen gemixt. Wenn nun dem arbeitslosen H4-Empfänger wegen unzureichender Bewerbungslage die Sozialleistungen gekürzt werden und dieser auf den FLüchtling schaut, der nicht arbeiten darf…
Die Probleme von Sachsen liegen doch eigentlich woanders. Angefangen von der politischen Wende und den ganzen Treuhand-Skandalen, wo etliche Industrien plattgemacht wurden und häufig Arbeitslosigkeit folgte, hat sich das zwei Jahrzehnte später noch nicht überall davon erholt. Dann hinterließ die Biedenkopf-Alleinregierung große Schäden am Sachsen-Sumpf. Dessen Nachfolger Georg Milbrad toppte das mit dem Landesbank-Skandal. Addiert man nun die derzeitigen Bundesprobleme (Pflege am Limit, Hartz IV, Rente, Explodierende Mieten etc.) mit noch so örtlichen Problemen (der Dresdner Hauptbahnhof wird immer schlechter angebunden) und ergänzt es mit strukturellen Problemen rund um die Landflucht vieler abgehängter Gebiete vor allem in Ostsachsen, könnte das schon ein Bild darstellen, warum Menschen unzufrieden sind.
Was dabei nur allzu gerne auch in Sachsen übersehen wird: Trotz all dieser Wehwehchen geht es auch in Sachsen vielen Menschen besser als noch zu DDR-Zeiten. Erinnert sich noch jemand, wie es in Pirna damals aussah? Ich erinnere mich noch, dass fast jedes dritte Haus in der Altstadt mit Holzpfosten gesichert werden musste, weil es einzustürzen drohte (Verdammt, ich finde kein historisches Foto von der Dohnaischen Straße in Pirna kurz vor der Wende). Längst vergessene Zeiten. Eigentlich sollte man auch froh sein, dass es Frieden gibt – und niemand ernsthaft fliehen muss. Noch nicht.
Man könnte einige der Probleme anpacken. Zum Vorteil nicht nur der Menschen in Chemnitz. Aber unsere Große Koalition will das gar nicht. Im Grunde genommen ist Chemnitz für die Bundespolitik ein Geschenk des Himmels. Juhu, alle schauen nach Chemnitz. Da die bösen Rechten, dort Gesicht zeigen. Die SPD zeigt viel lieber Gesicht, als dass die endlich die Mietenproblematik angeht. Und damit diese Debatten noch fleißig weitergehen, schüttet Sachsens Ministerpräsident Kretzschmer noch Benzin drüber:
Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd, es gab keine Pogrome.
Und während die CDU die Wurzel vieler Probleme ist und die SPD mit Leuten wie Olaf Scholz und Andrea Nahles ihre Erneuerung natürlich nicht gebacken bekommt, entsteht für viele wohl ein Vakuum, das die Braunen ausnutzen. Natürlich gibt es Linke, Grüne, Piraten, ÖDP, Freie Wähler etc., aber sie werden dabei kaum in Erwägung gezogen. Wer aber sich von den beiden großen Parteien völlig zu Recht nicht vertreten fühlt, hat noch lange keinen Grund, sich bei Demos unter die Braunen zu mischen. Und wer es doch tut, muss dann eben mit den Verurteilungen leben.
Anmerkung: Nach den unsäglichen Äußerungen von Aiwanger im Jahr 2023 habe ich die Freien Wähler in die Liste durchgestrichen. Bislang nahm ich sie als konservativen Gegenpol zur CDU war, aber sie bekommen gerade keine klare Linie hin.
Es besteht sehr wohl öffentliches Interesse, wenn Menschen in ihrer Freiheit beschnitten werden. Das Vorstrafenregister ist beim Strafmaß zu berücksichtigen, aber doch nicht bei der Frage der Verfahrenseinstellung. Aber die Tatsache, dass das Opfer mittlerweile verstorben ist, ist besonders makaber. Es mag richtig sein, dass damit ein Zeuge fehlt. Aber dieses nachträgliche Ereignis schwächt die Tat nicht ab. Zumal das Ereignis auch hinreichend gut per Video dokumentiert wurde. Auch wenn die Darstellung der Szene der Videobetrachtung im Gerichtssaal die reinste Realsatire ist:
Allerdings ließ der Richter das Video zunächst auf einem Minilaptop vorspielen. Der Ton war unverständlich, die Bilder für das Publikum nicht einsehbar. Sogar die Staatsanwaltschaft regte den Aufbau des „privaten technischen Szenarios“ an. Dieses Szenario bestand aus einem privaten Flachbildfernseher des Angeklagten Detlev O. (49) sowie dem Laptop seines Verteidigers Maximilian Krah. Schmunzelnd bauten O. und G. in einer Verhandlungspause die Technik selbst auf, der Richter nahm auf dem Zeugenstuhl Platz, um das Video zu sehen.
Noch mal langsam: der Angeklagte führt das Video vor – und niemand weis, welche zensierte Version er vorführt.
Zur Rechtsmaterie:
Notwehr ist nur das Abwehren einer Gefahr. Das Wegreißen der Weinflaschen kann eine Notwehrmaßnahme darstellen. Aber mit der Wegnahme war er „unbewaffnet”.
Die Jedermann-Festnahme benötigt Fluchtverdacht und fehlende Identitätsfeststellung – beides nicht gegeben.
Ich kann nur hoffen, dass dieses Verfahren noch einmal aufgerollt wird.
(Bei Youtube gibt es erschreckende Videos, wo diese Misshandlung als Zivilcourage verkauft wird. Ich verlinke nicht drauf.)
Anmerkung: Aufgrund neuerer Erkenntnisse ist meine flappsige Eingangsbemerkung nicht länger haltbar und unangemessen. Gegenwärtig verdichten sich Anzeichen, dass der Staatsanwalt massiv bedroht wurde. Bis hin zu Morddrohungen.
Am 17.01. haben Rechtsaußen sehr befremdliche Reden im Dresdner Ballhaus Watzke gehalten. Ein Teil der nun einsetzenden, öffentlichen Empörung ist die Darstellung des Denkmals über die ermordenten Juden in Berlin als „Denkmal der Schande”. Einen Tag später erklärt diese Person, dass die Medien es falsch verstanden hätten.
Natürlich wird wieder einmal mit der Doppeldeutigkeit gespielt. Ist es das Denkmal, dass die Schande der Vergangenheit dokumentiert (und da gibt es sicher keine zwei Meinungen) oder wird das Denkmal selbst zur Schande erklärt (und auch gibt es – von ganz unangenehmen Zeitgenossen abgesehen – ebenso keine zwei Meinungen)? Diese bewusste Zweideutigkeit induziert Aufregung und Empörung, um sie dann – wie eine Seifenblase – zu zerstechen. Und schlimmer noch: gleich in die Rolle der Märtyrer zu verfallen. Ich wette, aber dafür habe ich keine Beweise, dass die heutige Pressemitteilung aus der Fraktion in Erfurt schon vor der gestrigen Rede geschrieben worden war.
Wie man damit umgeht? Schwer zu sagen. Einerseits kann man solche Sätze nicht unwidersprochen lassen, andererseits ist genau diese Aufmerksamkeit das Ziel. Unbenommen davon ist natürlich die strafrechtliche Überprüfung der Rede.
Die Frage, die mich viel mehr aber beschäftigt: Wie ist es möglich, dass solche unangenehmen Zeitgenossen Räumlichkeiten in stadtweit angesehenen Lokalen bekommen? In der Sächsischen Zeitung lese ich dazu:
Dass [..] in seinem Haus reden würde, hat Watzke-Geschäftsführer Mirko Unger nach eigener Aussage erst am Montagabend um 17:30 Uhr erfahren. „Wir als Watzke sind ein weltoffenes Haus, politisch absolut neutral”, sagt der 40-Jährige. „Hätte ich es rechtzeitig gewusst, hätte ich sicher eine andere Entscheidung treffen können.”
Zunächst ist klarzustellen, dass ein weltoffenes Haus keinen Platz für rassistische Gruppierungen bietet. Angenommen das Ballhaus wurde tatsächlich überrumpelt, so vermisse ich klare Aussagen, dass man sich von den gestrigen Veranstaltern und Besuchern klar distanziert. Auch wenn es die Presse möglicherweise nicht abdrucken sollte: auf der Homepage des Ballhauses finde ich dazu nichts.
Dann ist es ein Zeichen des Anstandes, die Einnahmen der Veranstaltung an einen gemeinnützigen, weltoffenen Verein zu spendieren (Bitte vorher informieren. Es kursieren in Dresden wohltätig klingende Vereine, die nur eingeschränkt weltoffen sind).
Die entsprechenden Mietverträge enthalten ab sofort Klauseln, die die Nutzung
gewerblicher Räume für rassistische, antisemitisch und rechtsextreme Zwecke
explizit untersagen.
Dann könnte das Ballhaus, wenn bei einer unter einem unbekannten Namen angemeldete Veranstaltung plötzlich die Schande aus Thüringen sich einfindet, die zu erwartende Geschichtsverdrehungsstunde canceln.
Ich bin gespannt, welche Folgen vom Ballhaus kommen.
Uns war bei der Anmietung bewusst, dass die Anmieter zur Jugendorganisation der Partei Alternative für Deutschland gehören. Wir haben der Anfrage zugesagt, weil unser Angebot unter anderem das Vermieten von Räumlichkeiten umfasst.
Wir nehmen für uns nicht in Anspruch beurteilen zu können, welche Parteien und Organisationen in Deutschland zugelassen sein dürfen, sondern sehen unser Haus als einen demokratischen Ort, der Meinungen zuzulassen hat, auch wenn sie uns manchmal nicht passen. Dies gilt für die gestrige Anmietung wie auch für frühere und zukünftige Veranstaltungen anderer Organisationen.
Wir verstehen, dass einige dieses Selbstverständnis nicht nachvollziehen können. Damit müssen wir in einer Demokratie leben, denn wir wollen uns auch als Folge von Protesten nicht zu selbsternannten Richtern machen, sondern möchten unsere urdemokratische Haltung bewahren, dass in unseren Räumen erlaubt ist, was auf dem Boden des Grundgesetzes steht und unserer Rechtsprechung entspricht. Haltung und Aushalten gehören für uns zusammen.
Gestern wurden auf besagter Veranstaltung allerdings Aussagen getätigt, von denen wir uns ausdrücklich distanzieren und von denen wir ausgehen müssen, dass sie nicht grundgesetzkonform sind. Wir hatten einige Tage vor der Veranstaltung davon Kenntnis, dass Herr Höcke dort als Gastredner auftreten würde. Diese Information wurde von uns zu leichtsinnig und leichtfertig entgegengenommen. Künftig werden wir derartige Veranstaltungen in unserem Hause nicht mehr zulassen.
Wir bedauern die Ausnutzung unseres Hauses und unsere mangelnde Vorabprüfung zutiefst. Die Einnahmen aus der gestrigen Anmietung werden in voller Höhe für einen gemeinnützigen Zweck gespendet.
Punkt 2 ist damit abgehakt. Bei Punkt 1 hätte ich mir noch klarere Worte erwartet. Vor allem erstreckt sich diese in Widersprüche zu den oben zitierten Worten der Sächsischen Zeitung.
Als gebürtiger Pirnaer schäme ich mich für den Vorfall beim Stadtfest, bei dem auf dem gegenüberliegenden Elbufer ein Banner mit der Aufschrift „Migration ist Völkermord” ausgerollt wurde! Völkermord ist, was deren geistige Vorbilder getan haben.
Mittlerweile prüft der Staatschutz wegen Verstöße gegen das Versammlungsrecht und den Einsatz von Pyro-Technik, leider lese ich nichts wegen Volksverhetzung. Ich hoffe, es ist nur eine Unsauberkeit der Presse.
Wenn im Dresdner Raum jemand sagt, er komme aus dem beschaulichen Örtchen Arnsdorf, so ist ihm ein Schmunzler immer sicher. Denn der Ort ist nur für eine Sache bekannt: die psychiatrische Klinik. Oft auch abwertend als Irrenanstalt bezeichnet. Es gibt in Dresden sogar die Redewendung „der kommt aus Arnsdorf” für jemand Verwirrtes. Und die im Lied „Goldener Reiter” besungenen Nervenklinik mit dem Fassungsvermögen sämtlicher Einkaufszentren der Stadt wird (auch wenn es vom Sänger dementiert wurde) ein Bezug zu Arnsdorf unterstellt.
Und dieser Ruf wurde durch die Ereignisse in einem netto-Markt leider bekräftigt. Involviert war ein irakischer Asylbewerber (21), der in jener Nervenklinik gerade behandelt wird – und vier Irre, über deren Behandlungsstatus leider nichts bekannt ist. Einer der vier Irren soll immerhin CDU-Gemeindevertreter sein.
Ich bin ehrlich gesagt nicht ganz sicher, was ich von Videos halten soll, in dem irgendwelche Menschen andere bei ganz alltäglichen Dingen filmen – und in ihrem Recht der informationellen Selbstbestimmung eingreifen. Fakt ist nun, dass es im Internet dieses Video mit der Szene gibt und es in diesem Fall hilft, das Geschehene besser einzuordnen:
Wir sehen also eine Meinungsverschiedenheit mit Sprachbarriere zwischen einem Kunden und einer Kaufhalle. Wenn man den Geschichten anderer Medien Glauben schenken darf, ging es um Guthaben für ein Mobiltelefon, was scheinbar – je nach Seite – nicht funktionierte oder schon verbraucht wurde. Deshalb war er bereits mehrfach im Laden erschienen.
Wir sehen überfordertes Personal, was ich gewissermaßen nachvollziehen kann. Renne du mal mit einem Guthabencode in eine Kaufhalle zurück und reklamiere, dass dies nicht funktioniert. Bei Vor-Ort-Eingabe des Codes spuckt das Gerät aus, dass der Code schon verwendet worden ist und du bist der festen Meinung, dass du es nicht ausgelöst hast. Und das in einem Land, in dem das Verkaufspersonal eine andere (Mutter-)sprache spricht als du selbst.
Wir sehen diesen Kunden, der zwei Flaschen in seiner Hand hielt. Es hieß, er hätte mit den Flaschen gedroht. Im Video ist dies nicht belegt, was aber nicht völlig ausschließt, dass es zuvor eine weitere Auseinandersetzung gegeben haben könnte. Ich las, dass er diese als Ersatz für das Guthaben sich aneignen wollte. Allerdings gab es dazu keine Bestätigung in der polizeilichen Pressemitteilung.
In so einer Situation die Polizei zur Klärung anzufordern, ist nicht verkehrt.
Und dann dass Unfassbare: Diese vier Irren stürmen den Laden. Sie fragen nicht nach. Sie klären nicht. Sie vermitteln nicht. Sie zerren den Kunden aus den Laden. Er wehrt sich. Es artet in einer Schlägerei 4 gegen 1 aus. Sie schreien ihn an. Als sie den Laden verlassen, endet das Video mit dem O-Ton „Schon schade, wenn man eine Bürgerwehr braucht”. Eine Bürgerwehr, die vor diesen vier Irren schützt?
Als die Polizei am Ort eintraf, war der Iraker mit Kabelbindern (!) auf dem Parkplatz des Nettos an einen Baum gefesselt.
Durch die Erregtheit des Asylbewerbers war das Festhalten sinnvoll, ich tu mich schwer zu sagen, notwendig.
Zwar sieht das Gesetz eine Möglichkeit der Jedermann-Festnahme vor, doch die setzt Fluchtverdacht und fehlende Identitätsfeststellung voraus. Beide Voraussetzungen lagen hier nicht vor. Wenn die Flasche tatsächlich als Gefahr für den Einsatz als Wurfgeschoss oder Schlaggerät angesehen wurde, hätte man ihm mittels Notwehr die Flasche entreißen können. Aber spätestens ab dem Moment der Wegnehme wäre auch diese nicht mehr gegeben.
Und während nun dieser Vorfall durch die Medien hoch und runter kocht und Ansdorf leider eine unrühmliche Bekanntheit auch außerhalb des Dresdner Raumes erlangt, ist neben der ganzen strafrechtlichen Aufarbeitungen doch eine Frage spannend: ist das eigentliche Problem des Telefonguthabens gelöst? Oder ist dies auch ein Indiz für die Servicewüste Deutschland?
Östlich des Heilstättenwegs soll ein 75-Meter-Abschnitt [des Körnerwegs] im Juli und August dieses Jahres grundhaft ausgebaut werden.
So, die Sächsische Zeitung am 20.04. Ja, 75 Meter! Oder besser: 75000 Millimeter! Anderswo fallen Reissäcke um!
Leider wurden die Erwartungshaltungen vom Vorjahr drastisch gesenkt. Damals hieß es noch in der selben Zeitung:
Dann [2016] nämlich will der Chef des Straßen- und Tiefbauamtes (STA), Reinhard Koettnitz, ein rund 140 Meter langes Teilstück des Weges erneuern lassen. Derzeit ist der unebene Sandsteinbelag, der auf rund 710 Metern liegt, eine Gefahrenquelle für Radfahrer und Fußgänger.
Zuvor gab es Debatten, in wie weit das Denkmalschutzensemble Dresdner Elbtal dafür herhalten kann, dass abgefahrene, holpernde Sandsteine mit all ihren zum Teil auch gefährlichen Fugen nicht erneuert werden können. Dank der Hufeisennase ist es wenigstens keine Unesco-Weltkulturerbe-Diskussion mehr! Es fanden historische Ausgrabungen in den Stadtarchiven statt, doch die ursprüngliche Bauakte zum historischen Leinpfad blieb verschollen. 1908 gab es eine professionelle Umgestaltung, 1951 eine halbherzige Neupflasterung, seitdem nur Verschlimmbesserungen.
Doch der mittlerweile nicht mehr wiedergewählte Baubürgermeister Marx interessierte sich nicht für die Fakten – Denkmalschutz, Denkmalschutz, Denkmalschutz! Aus diesen Gründen wurde jüngst ein Geländer für’s Geländer auf der denkmalgeschützten Albertbrücke installiert. Mit Verlaub: diese Maßnahme sieht weit alberner für ein Denkmal aus als ein vernünftiger Belag am Ufer. Und da traut sich der ADFC noch nicht einmal das Wort „Asphalt” in den Mund zu nehmen.
Aber so hat jede Stadt ihre Großbauprojekte. In Berlin ist es ein Flughafen, in Hamburg ein Konzerthaus, in Stuttgart ein Bahnhof, in Köln ein Straßenbahntunnel und in Dresden ein knapper Kilometer Radweg.
Chemnitz ist eine der größten Städte ohne Anschluss ans Fernbahnnetz. Doch das soll bald anders werden. Die Deutsche Bahn hat ganz, ganz große Pläne – nur etwas Geduld bitte:
Die aktuellen Planungen der DB Fernverkehr AG [sehen] ab dem Jahr 2022 die Anbindung von Chemnitz und Zwickau an die IC-Linie 17 (Rostock-Berlin-Dresden-München) vor. Dies setzt jedoch die Elektrifizierung des Streckenabschnitts Hof-Regensburg voraus [..]. In einem zweiten Schritt soll dann ab 2032 die IC-Linie 51 (Aachen-Gera) nach Chemnitz verlängert werden. Grundvoraussetzung hierfür ist die Elektrifizierung des Streckenabschnitts Weimar-Gera-Gößnitz.
Heute gibt es weder die IC-Linie 17, noch eine Linie 51. Ob die Elektrifizierung kommt, steht ebenso in den Sternen. Zudem provoziert die Bahn politische Auseinandersetzungen wegen Abriss und Neubau einer denkmalgeschützten Brücke der Moderne in der Stadt der Moderne.
Nein, wenn die Deutsche Bahn ernsthaft Großstädte wieder ans Fernbahnnetz integrieren will, dann wäre der erst 2013/2014 eingestellte Franken-Sachsen-Express zwischen Dresden und Nürnberg der erste Schritt.
Das mit Abstand geschmackloseste Geburtstagsgeschenk dieses Jahres: der Sender (S)Hitradio RTL veröffentlichte am 16.02. eine Hymne über Sachsen. Schwere Kost mit piepsender Stimme und aggressiver Fröhlichkeit. Und mit selbstironischen Text:
Zu lachen, füreinander da zu sein, bei Regen und bei Sonnenschein.
Denn am Tage der Veröffentlichung eigneten sich auch die Vorfälle in Clausnitz (nicht mit ß!). Ich ordne den syrischen Bürgerkrieg unter die Metapher Regen ein. Das mit dem „füreinander da zu sein” klappte also nicht.
Wer es sich antun möchte: hier die Fassung u.a. mit Clausnitz-Einspielung:
Ja, es ab schon gute Lieder über Sachsen. Und Nein, in Sachsen gibt es keinen vernünftigen Radiosender.
Die Dresdner Albertbrücke wird gegenwärtig saniert. Dabei wurde festgestellt, dass die alten Geländer wegen Rost nicht weiter zu verwenden sind – und es mussten ohnehin neue angefertigt werden. Der Denkmalschutz gab die Vorgabe, dass die Geländer originalgetreu wieder errichtet werden sollen (inkl. ihrer Abmaße und Proportionen), allerdings waren diese nur ca. 1 Meter hoch. Nach den den aktuellen Anforderungen müssen diese 1,30 Meter hoch sein.
Wenn Denkmalschützer nun ihre Aufgabe ernst nehmen, würden sie ihre Position überdenken. Etwas Fantasie hilft dabei. Ich wette, es gab mit Sicherheit viele kreative Lösungen, die dem Denkmalschutzempfinden näher stehen, als dieses nun wirklich schrecklich aussehende Doppelgeländer-Lösung.